Die aus dem Westen bekannte konfrontativ-öffentlichkeitswirksame Strategie von Greenpeace zeitigt in China überraschende Erfolge. In Hongkong und Peking gibt es bereits ein Büro.
Die Sonne brennt an diesem Sonntagnachmittag in Hongkong so heiß, dass die Luft über den Straßen flimmert. Die BewohnerInnen der südchinesischen Sonderzone zieht es in gekühlte Kaufhäuser, an den Strand oder in Parks. Doch im nordwestlichen Stadtteil Tuen Mun trotzen etwa tausend Menschen der sengenden Sonne. Geschützt mit Hüten und Schirmen gehen hier ganze Familien auf die Straße und fordern auf ihren chinesischen Transparenten: Hongkong, stopp den Müllverbrennungsplan, Wir wollen nicht zu Opfern werden oder Wir wollen kein Dioxin.
Die DemonstrantInnen marschieren zur Fabrik von Green Island Cement. Dort wartet schon eine Gruppe gebrechlicher Rentner, die die letzten Meter zum Werkstor mitlaufen. Die Zementfabrik gehört zum Konzern von Li Ka-shing, dem Lieblingsmilliardär der kommunistischen Führung in Peking und reichsten Tycoon Asiens. Hongkongs Regierung will seine Fabrik subventionieren, damit sie versuchsweise Müll verbrennt und daraus Zement und Strom produziert. Doch die AnrainerInnen fürchten Dioxin und andere Gifte.
Vor dem Werkstor kritisieren Redner den Müllverbrennungsplan. In seltener Eintracht äußern sich VertreterInnen der Peking-kritischen Demokratischen Partei, der traditionellen patriarchalen Grundbesitzervereinigung, der Peking-nahen Demokratischen Allianz zur Verbesserung Hongkongs und des unabhängigen Gewerkschaftsverbands.
Organisiert hat diese ungewöhnliche Einheitsfront der chinesische Zweig von lüse heping grüner Frieden, bekannter als Greenpeace.
Das ist unser bisher größter Marsch, sagt Campaigner Clement Lam, der seit Gründung von Greenpeace-China dabei ist. 20 Greenpeace-AktivistInnen hatten bereits am Wochenende zuvor vor dem Mutterkonzern von Green Island Cement medienwirksam mit Atemschutzmasken demonstriert. Greenpeace fordert eine neue Abfallpolitik mit den Schwerpunkten Reduzierung, Trennung und Recycling. Die UmweltschützerInnen wissen, dass Hongkong für Chinas Städte ein Vorbild ist.
Greenpeace-China wurde in Hongkong im Februar 1997, also kurz vor der Rückgabe der Kronkolonie an die Volksrepublik, als lokale Nichtregierungsorganisation offiziell registriert. Seitdem hat sich der inzwischen weitgehend autonom agierende chinesische Zweig der internationalen Umweltschutzorganisation erfolgreich etabliert. Heute hat lüse heping in Hongkong 31 MitarbeiterInnen, die alle aus der Sonderzone oder vom chinesischen Festland stammen.
Mit Spendeneinahmen von knapp einer Million US-Dollar im vergangenen Jahr ist Greenpeace-China inzwischen selbsttragend. Während sich viele Umweltorganisationen in Hongkong durch Spenden der Industrie finanzieren, stieg bei lüse heping die Zahl der regelmäßigen KleinspenderInnen von 800 im Jahr 1998 auf heute knapp 10.000. Hinzu kamen vergangenes Jahr 5.000 Einzelspenden. Längst ist Greenpeace auf dem Festland aktiv, im Februar wurde in Peking gar ein inoffizielles Büro mit vier lokalen Mitarbeitern eingerichtet.
Wir können Hongkongs Umweltprobleme nicht isoliert betrachten, sagt Ho Wai Chi, der Chef von Greenpeace-China. Ein Land zwei Umweltstandards, das funktioniert nicht, sagt der 38-jährige frühere Sozialarbeiter in Anspielung auf Deng Xiaopings Hongkonger Autonomieformel ein Land – zwei Systeme.
Es war immer klar, dass China ökologisch wichtig ist, sagt Thilo Bode, der bis Jahresanfang Chef von Greenpeace-International in Amsterdam war und der den Aufbau des chinesischen Zweiges vorantrieb. Wie über 1,2 Milliarden ChinesInnen ein Fünftel der Menschheit mit Ressourcen umgehen, kann keinem Umweltschützer egal sein. Aber wir hatten bis dahin Büros immer ohne Strategie gegründet, weil es einfach Leute gab, die das machten, so Bode. Als er 1995 mit anderen auf Pekings Tiananmen-Platz gegen Chinas Atomtests protestierte und schon nach 30 Sekunden verhaftet wurde, bekamen sie zwar noch ein Foto von der Aktion in die internationale Presse. Aber um im autoritäten China Fuß zu fassen, schien die Aktion nicht förderlich.
Ein Plan wurde ausgeheckt, die Amsterdamer Zentrale stellte über zwei Millionen Dollar bereit: Unsere Strategie war, Bewusstsein zu schaffen, zu informieren, Lösungen anzubieten, schrittweise vorzugehen, um dieRegierung nicht zu überraschen, eben mehr Beratung weniger Konfrontation, so Bode.
Greenpeace hatte gerade Chinas zweitgrößten Kühlschrankhersteller von einer FCKW-freien Technik überzeugen können. Bis heute wurden 10 Millionen so genannter Greenfreeze-Kühlschränke bei drei Herstellern in China produziert.
Diesen Erfolg wollte Greenpeace in anderen Sektoren wiederholen – zum Beispiel mit einem Dreiliterauto. Wieder wurden in China Fachmessen besucht und Seminare für ExpertInnen veranstaltet. Doch ein Auto ist kein Kühlschrank, sagt Ho. Die Autoindustrie ist viel kapitalintensiver. Um hier etwas zu ändern, hätte es Entscheidungen der chinesischen Führung bedurft. Dafür reichte der Einfluss von Greenpeace nicht. Zudem waren für die Firmen bei der Umstellung der Kühlschrankprodukion wirtschaftliche und nicht ökologische Gründe ausschlaggebend, und das Dreiliterauto existierte nur als Prototyp.
Auch beim Fundraising gab es Rückschläge. Das Anschreiben potentieller SpenderInnen brachte wenig. Danach haben wir auf Kampagnen zu Themen umgestellt, die die Leute direkt betreffen, wie zum Beispiel Gifte, erinnert sich Bode. Seit Ende 1998 arbeiten wir sehr viel zu Hongkonger Themen. Seitdem stiegen auch die Spenden sprunghaft an, ergänzt Ho. Zum Erfolg wurde der so genannte Direkt-Dialog auf der Straße. Laut Bode ist diese Fundraisingstrategie in Hongkong gar am erfolgreichsten.
MitarbeiterInnen sprechen die Bevölkerung in Einkaufszentren an, diskutieren Umweltprobleme und was getan werden könne. Als Lösung wird die finanzielle Unterstützung von lüse heping per Dauerauftrag vorgeschlagen. Dies funktioniere umso besser, je mehr damit Aktionen zu lokalen Umweltproblemen einhergehen, so Ho.
In Hongkong holten Greenpeace-AktivistInnen vor laufenden Kameras Lebensmittel und Kinderspielzeug aus Geschäften und zeigten, dass sie gentechnisch verändert waren oder hochgiftige Substanzen enthielten. Die VerbraucherInnen waren entsetzt, die Regierung musste handeln. Es ist wie in Deutschland: Die Bevölkerung findet es gut, wenn wir den Nerv treffen.
Vorher wurde gesagt, solche Aktionen kann man in der chinesischen Kultur nicht machen, weil niemand sein Gesicht verlieren dürfe. Aber viele sagen uns, gebt es denen da oben einmal richtig, erklärt Bode, der kaum zwischen dem offeneren Hongkong und dem autoritäreren Festland unterscheidet.
Ho differenziert stärker. Unser Ansatz in Hongkong unterscheidet sich noch sehr von dem in China. Das ganze Büro probiert gemeinsam, wie wir in China auf unsere Art operieren können. Wir gehen da auf einem schmalen Grat. So operiere das neue Pekinger Büro in einer Grauzone. Man habe keine offizielle Repräsentanz gründen wollen, weil dies bedeutet hätte, alle Aktivitäten mit der Regierung abzusprechen, so Ho. Doch schon jetzt nimmt sich lüse heping in Peking die Freiheit, auf unangemeldeten Pressekonferenzen eigene Umweltberichte vorzustellen.
Im Mai machten Hongkonger Greenpeace-AktivistInnen eine Fahrradtour am Dongjiang-Fluss in der Provinz Guangdong. Sie diskutierten mit der lokalen Bevölkerung über die Verschmutzung und spannten immer wieder ein Transparent auf: Schützt den Dongjiang. Für Ho ist der Ansatz Erfolg versprechend.
Bevor wir aktiv werden, müssen wir Aktionen und Stil sorgfältig planen. Aktionen auf dem Tiananmen-Platz sind tabu, aber vor Ort nicht. Wenn wir vorher eine Kampagne durchführen, ist es irgendwann legitim, den Druck durch eine Aktion zu erhöhen. Die Regierung will nicht überrascht werden, aber sie ist letztlich offen für unsere Aktivitäten, meint Ho.
Noch gehe Greenpeace vorsichtig vor, versuche die Kontakte zur Regierung zu stärken und betreibe weiter Lobbying, berichtet Ho. Im Mai wurde Greenpeace erstmals offiziell als Organisation von Chinas Umweltbehörde zu einer Fachtagung über genmanipulierte Organismen nach Nanjing eingeladen. Bis dahin war nur informell zusammengearbeitet worden, zum Beispiel bei der Formulierung der chinesischen Position bei den Verhandlungen zur Basel-Konvention über Giftmüllexporte. Da zogen Peking und die UmweltschützerInnen an einem Strang.
Der Autor ist Asienredakteur der Berliner tageszeitung und weilte kürzlich zu Gesprächen mit Greenpeace in Hongkong.
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